Schreibregel der Woche
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Sie schreiben gern, aber nur, wenn es Ihnen gerade passt und Spaß macht?
Die Veröffentlichung Ihres Werks wäre Ihnen vor allem eine Ehre, das Geld eher nicht so wichtig?
Es kränkt Sie, dass kein Schwein Ihr Buch kauft, doch letztendlich beeinträchtigt das nicht maßgeblich Ihren Lebensstandard?
Existenzangst nervt, aber macht kreativ
von Jan Schröter© Autorenfoto: Hocky Neubert
Sie schreiben gern, aber nur, wenn es Ihnen gerade passt und Spaß macht?
Die Veröffentlichung Ihres Werks wäre Ihnen vor allem eine Ehre, das Geld eher nicht so wichtig?
Es kränkt Sie, dass kein Schwein Ihr Buch kauft, doch letztendlich beeinträchtigt das nicht maßgeblich Ihren Lebensstandard?
Sie dürfen gerne aufhören, diese Schreibregel zu lesen.
Oder sieht es so bei Ihnen aus: Sie erwägen vielleicht doch, das Schreiben zum Beruf zu machen? Möglicherweise nicht sofort, aber später bestimmt?
Sie verfügen weder über ein gediegenes Vermögen noch über lukrative Nebenverdienste, begüterte Erbverwandte oder einen millionenschweren Ehepartner?
Bitte, erst einmal dieses Kapitel lesen. Gern auch zweimal.
Als sogenannter „freier Autor“ agiert man als Selbständiger. Das läuft in vielerlei Hinsicht nicht anders als bei anderen selbständig Gewerbetreibenden. Malermeister, Anwältin oder Fahrlehrer – alle, die ihren Beruf nicht in Festanstellung, sondern als Unternehmer ausüben, teilen viele ähnlich geartete Probleme. Zu viele Aufträge, zu wenige Aufträge. Schwierige Kunden, säumige Honorarzahler.
Und, wenn’s richtig übel läuft: Gar keine Kunden und kein Honorar in Aussicht – nicht mal ein bislang vergeblich angemahntes.
Am Ende dieser Durststrecke gibt es plötzlich Angebote für alle. Der Malermeister soll eine Hausfassade streichen. Die Anwältin vertritt eine Mandantin im Scheidungsprozess. Der Fahrlehrer bekommt einen neuen Fahrschüler. Und der Autor darf einen lustigen Kurzkrimi schreiben, für eine geplante Anthologie mit dem programmatischen Titel „Die fröhliche Giftküche“. Abgabetermin: Nächste Woche. Und gut wäre, wenn Autor auch noch ein zur Kurzgeschichte passendes Koch- oder Backrezept beisteuerte, fordert der Auftraggeber (bevor Sie nun vergeblich nach diesem Werk suchen: Ich habe es mir ausgedacht. Artverwandte Titel finden Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens. Jede Menge.).
Malermeister, Anwältin und Fahrlehrer wissen nun ganz genau, was zu tun ist. Sie spulen das ab, was sie immer machen, wenn mal wieder eine Fassade zu streichen, ein Scheidungsverfahren einzuleiten oder einem Verkehrsnovizen das Zusammenspiel von Kupplung, Gaspedal und Bremse beizubringen ist. Der Autor dagegen muss plötzlich etwas aus dem Hut zaubern, woran er zuvor noch nicht mal gedacht hat. Versetzen wir uns doch mal in die Gedankenwelt dieser gebeutelten Person:
„Giftküche“, so was Beknacktes. Völlig unkomisch und abgedroschen. Na gut, zehn bis zwölf Normseiten zum Thema sollten sich ja wohl in einer Woche raushauen lassen. Eigentlich darf das keine drei Tage dauern, gibt ja bloß 200 Euro Honorar. Hey, da könnte ich Gabi am Samstag ins Kino einladen und beim Griechen waren wir schon ewig nicht … Naja, die Stromrechnung ist leider auch noch offen. Und überhaupt muss mir erst mal die Geschichte einfallen!
Kochrezept, was für ein Kochrezept, bei mir brennt schon heißes Wasser an, wenn ich am Herd stehe. Krimi und Kochrezept. 20 Autoren, 20 Kurzkrimis zum Thema „Giftküche“. Da wird nachher garantiert in jeder Story Gift in die Suppe, den Kuchen oder den Cocktail gemischt – etwas anderes fällt den Kollegen doch nicht ein! Mir leider auch nicht. Verdammt, das hat alles keinen Sinn. Ich rufe beim Verleger an und sage, ich hätte mich mit anderen Terminen vertan, es geht leider nicht … Ich könnte heulen. Da kriegt man endlich mal eine Anfrage, und dann fällt mir nichts ein. Bestimmt fällt mir sowieso nie wieder etwas ein! Reicht mir den Schierlingsbecher. Schierlingsbecher?
Schierlingsbecher!
Stell dir vor: Große Betriebsweihnachtsfeier, der Vorstand hat gerade die Schließung des Standorts zum Neujahr verkündet. Buchhalter Achim, ohnehin schon verzweifelt an unerfüllter Liebe zur Sekretärin Elfie, schüttet sich Gift in ein Glas Punsch, um seinem öden Dasein ein Ende zu setzen. Doch bevor Achim das Gebräu trinken kann, fällt ihm Elfie um den Hals: Ab jetzt arbeiten sie und Achim ja nicht mehr zusammen, deshalb traut sie sich endlich, ihm zu gestehen, wie scharf sie ihn findet! Beide brechen sofort auf zum nächstgelegenen Hotelbett, während der immer noch gefüllte Giftbecher zurückbleibt und im Verlauf der immer wilder ausufernden Betriebsfeier durch verschiedene Hände geht, dabei mehr als einmal beinahe ausgetrunken wird, aber doch jedes Mal unberührt bleibt – bis endlich die beschwipste Chefsekretärin mit dem Inhalt des Giftbechers kurzerhand eine bunte Punschbowle auffüllt, die sie anschließend am Tisch des Vorstands serviert. Der hatte zwar eben noch die Betriebsschließung ohne Bauchweh verkündet, aber nun kommt er nicht so leicht weg.
Super! Dazu noch das alte Punschrezept von Oma, und die Story ist im Kasten. Könnte ich gleich schreiben. Obwohl, Montag reicht auch noch. Ist ja so gut wie fertig. Jetzt lieber Gabi anrufen. Wegen Kino am Wochenende. Und Essen gehen beim Griechen. Scheiß auf die Stromrechnung.
So oder ähnlich kann es laufen, wenn Existenzdruck Kreativität generiert. Es gibt Menschen, bei denen genau das wunderbar funktioniert. Ich zähle mich durchaus dazu, glücklicherweise. Es ist keine Eigenschaft, die ich mir angeeignet oder in irgendeiner Weise verdient habe. Einfach mal Schwein gehabt, würde ich sagen. Wer unter Existenzdruck keinen klaren Gedanken mehr zu fassen vermag, hat als freier Autor ein existenzielles Problem.
Denn leider ist jedes Geld bald wieder ausgegeben. Vielleicht dauert es lange mit einem nächsten Auftrag. Oder es kommt eine Anfrage, aber diesmal fällt einem wirklich nichts dazu ein. Der Strom wird aufgrund unbeglichener Zahlungsrückstände abgestellt, und wenn Gabi diese Lebensumstände irgendwann keineswegs mehr romantisch findet, kann man ihr das nicht verdenken.
Neben dem Schreiben einer „Broterwerbsarbeit“ oder wenigstens einem Nebenjob nachzugehen, der einem zumindest die Stromrechnung und einige andere Dinge sichert, ist also vielleicht nicht die schlechteste Taktik. Die Frage ist allerdings, ob daneben noch genug Energie und Konzentrationsfähigkeit übrig bleibt, um Meisterwerke zu schreiben. Diese Frage kann sich jeder nur selbst beantworten. Spätestens dann, wenn man sich dem Dauerdilemma ausgeliefert sieht, immer dann gerade am liebsten schreiben zu wollen, wenn man sich mit dem weniger geliebten „Brot-Job“ beschäftigen muss. Je anspruchsvoller dieser „Brot-Job“ ist, desto schlimmer wird diese Zwickmühle. Ich, beispielsweise, hatte zu Beginn meiner Autorenkarriere erwogen, als Sonderschullehrer zu arbeiten. Freie Nachmittage, andauernd Schulferien – da ließe es sich doch ganz prima nebenbei Bestseller schreiben. Ich begriff zum Glück sehr, sehr schnell, dass ich in dieser Kombination auf Dauer weder dem Lehrerberuf noch meiner Neigung gerecht werden würde. Und weil es schon genug frustrierte Lehrer gab, entschied ich mich für die Neigung.
Mit allen Konsequenzen.
Natürlich, Sie glauben an sich und Ihre schriftstellerische Begabung. Der erste Roman muss nur erst fertig werden und beim Verlag untergebracht sein, dann rollt der Rubel! Bevor Sie jetzt Freunde anpumpen oder einen Bankkredit aufnehmen, um die paar Monate zu finanzieren, die Sie vermutlich benötigen, um diesen Roman zu schreiben:
GROSSES STOPPSCHILD!
Erst einmal überlegen: Wie viel Geld benötigen Sie monatlich zum Lebensunterhalt? Bedenken Sie dabei, dass Sie als Autor/in freiberuflich tätig sind, also Einkommenssteuerpflichtig sind, sich um die Altersversorgung kümmern müssen und dergleichen. Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es nicht, und wenn Sie sich die Grippe einfangen und zwei Wochen flachliegen, schreibt niemand Ihren Roman weiter, alles dauert länger und Sie brauchen noch mehr Geld. Sagen wir mal, 2.000 Euro brutto im Monat sollten es schon sein. Und, mal ehrlich: Üppig gerechnet ist das nicht.
Das Thema „Schreibgeschwindigkeit“ lässt sich nochmal in der Schreibregel Nr. 8 nachlesen. Falls Sie nicht der absolute Überflieger in Sachen Tempo sind, sondern halbwegs normal ticken, benötigen Sie sechs bis sieben Monate (also 14000 Euro Lebensunterhalt), um einen unterhaltsames Taschenbuch von etwa 300 Seiten Umfang zu verfassen. Und weil es von Ihnen und deshalb hervorragend geworden ist, nimmt es auch ein Verlag unter Vertrag.
Ich habe mehrere Taschenbuch-Romane in einem großen, renommierten Verlag veröffentlicht. Umfang jeweils knapp über 300 Seiten, Ladenverkaufspreis 8,99 Euro. Preisfrage: Wie viel davon landet auf dem Konto des Autors?
Antwort: 42 Cent.
Um überhaupt nur die 14000 Euro herauszubekommen, die für Ihren Lebensunterhalt während der Schreibphase draufgegangen sind, müssten über 33000 Exemplare Ihres Romans verkauft werden (die allermeisten Bücher erreichen diese Stückzahl bei Weitem nicht, lehren Erfahrung und Statistik). Und selbst, wenn die Autorentantieme tatsächlich zur Deckung Ihrer Lebenshaltungskosten während der Schreibphase gerade eben reichen sollte: Sie wollen ja auch noch die zweite Jahreshälfte überleben. Zwar ist Ihnen dringend danach, nach erfolgreicher Beendigung des Romans erst mal Urlaub zu machen, um das Gehirn durchzupusten, aber Sie müssten möglichst schnell den nächsten Roman, das nächste Drehbuch oder Theaterstück in Angriff nehmen, weil sonst der Strom abgestellt und Gabi das gar nicht witzig finden wird.
Bleibt festzuhalten: Schreiben als ausschließlich ausgeübter Beruf bedeutet in den meisten Fällen permanente Existenzangst. Damit muss man umgehen können. Lässt man es zu, dass diese Angst die eigenen Gedanken lähmt, hat man verloren. Keine Idee = keine Geschichte = kein Honorar, so simpel ist das. Existenzangst ist eine Fessel, doch möchte man kreativ sein, sind den Gedanken unbedingt sämtliche Fesseln zu lösen. Weniger poetisch, aber noch trefflicher beschrieb es neulich ein guter Freund von mir, der als rustikaler Mann von der Küste ansonsten nicht viele Worte macht:
„Mit voller Hose kann man nicht nachdenken.“
So ist es.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen
Die Mailadresse lautet
Mehr Infos über das Buch "Goldene Schreibregeln"
E-Book ohne Anmeldung kaufen
Autorenportrait von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Oder sieht es so bei Ihnen aus: Sie erwägen vielleicht doch, das Schreiben zum Beruf zu machen? Möglicherweise nicht sofort, aber später bestimmt?
Sie verfügen weder über ein gediegenes Vermögen noch über lukrative Nebenverdienste, begüterte Erbverwandte oder einen millionenschweren Ehepartner?
Bitte, erst einmal dieses Kapitel lesen. Gern auch zweimal.
Als sogenannter „freier Autor“ agiert man als Selbständiger. Das läuft in vielerlei Hinsicht nicht anders als bei anderen selbständig Gewerbetreibenden. Malermeister, Anwältin oder Fahrlehrer – alle, die ihren Beruf nicht in Festanstellung, sondern als Unternehmer ausüben, teilen viele ähnlich geartete Probleme. Zu viele Aufträge, zu wenige Aufträge. Schwierige Kunden, säumige Honorarzahler.
Und, wenn’s richtig übel läuft: Gar keine Kunden und kein Honorar in Aussicht – nicht mal ein bislang vergeblich angemahntes.
Am Ende dieser Durststrecke gibt es plötzlich Angebote für alle. Der Malermeister soll eine Hausfassade streichen. Die Anwältin vertritt eine Mandantin im Scheidungsprozess. Der Fahrlehrer bekommt einen neuen Fahrschüler. Und der Autor darf einen lustigen Kurzkrimi schreiben, für eine geplante Anthologie mit dem programmatischen Titel „Die fröhliche Giftküche“. Abgabetermin: Nächste Woche. Und gut wäre, wenn Autor auch noch ein zur Kurzgeschichte passendes Koch- oder Backrezept beisteuerte, fordert der Auftraggeber (bevor Sie nun vergeblich nach diesem Werk suchen: Ich habe es mir ausgedacht. Artverwandte Titel finden Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens. Jede Menge.).
Malermeister, Anwältin und Fahrlehrer wissen nun ganz genau, was zu tun ist. Sie spulen das ab, was sie immer machen, wenn mal wieder eine Fassade zu streichen, ein Scheidungsverfahren einzuleiten oder einem Verkehrsnovizen das Zusammenspiel von Kupplung, Gaspedal und Bremse beizubringen ist. Der Autor dagegen muss plötzlich etwas aus dem Hut zaubern, woran er zuvor noch nicht mal gedacht hat. Versetzen wir uns doch mal in die Gedankenwelt dieser gebeutelten Person:
„Giftküche“, so was Beknacktes. Völlig unkomisch und abgedroschen. Na gut, zehn bis zwölf Normseiten zum Thema sollten sich ja wohl in einer Woche raushauen lassen. Eigentlich darf das keine drei Tage dauern, gibt ja bloß 200 Euro Honorar. Hey, da könnte ich Gabi am Samstag ins Kino einladen und beim Griechen waren wir schon ewig nicht … Naja, die Stromrechnung ist leider auch noch offen. Und überhaupt muss mir erst mal die Geschichte einfallen!
Kochrezept, was für ein Kochrezept, bei mir brennt schon heißes Wasser an, wenn ich am Herd stehe. Krimi und Kochrezept. 20 Autoren, 20 Kurzkrimis zum Thema „Giftküche“. Da wird nachher garantiert in jeder Story Gift in die Suppe, den Kuchen oder den Cocktail gemischt – etwas anderes fällt den Kollegen doch nicht ein! Mir leider auch nicht. Verdammt, das hat alles keinen Sinn. Ich rufe beim Verleger an und sage, ich hätte mich mit anderen Terminen vertan, es geht leider nicht … Ich könnte heulen. Da kriegt man endlich mal eine Anfrage, und dann fällt mir nichts ein. Bestimmt fällt mir sowieso nie wieder etwas ein! Reicht mir den Schierlingsbecher. Schierlingsbecher?
Schierlingsbecher!
Stell dir vor: Große Betriebsweihnachtsfeier, der Vorstand hat gerade die Schließung des Standorts zum Neujahr verkündet. Buchhalter Achim, ohnehin schon verzweifelt an unerfüllter Liebe zur Sekretärin Elfie, schüttet sich Gift in ein Glas Punsch, um seinem öden Dasein ein Ende zu setzen. Doch bevor Achim das Gebräu trinken kann, fällt ihm Elfie um den Hals: Ab jetzt arbeiten sie und Achim ja nicht mehr zusammen, deshalb traut sie sich endlich, ihm zu gestehen, wie scharf sie ihn findet! Beide brechen sofort auf zum nächstgelegenen Hotelbett, während der immer noch gefüllte Giftbecher zurückbleibt und im Verlauf der immer wilder ausufernden Betriebsfeier durch verschiedene Hände geht, dabei mehr als einmal beinahe ausgetrunken wird, aber doch jedes Mal unberührt bleibt – bis endlich die beschwipste Chefsekretärin mit dem Inhalt des Giftbechers kurzerhand eine bunte Punschbowle auffüllt, die sie anschließend am Tisch des Vorstands serviert. Der hatte zwar eben noch die Betriebsschließung ohne Bauchweh verkündet, aber nun kommt er nicht so leicht weg.
Super! Dazu noch das alte Punschrezept von Oma, und die Story ist im Kasten. Könnte ich gleich schreiben. Obwohl, Montag reicht auch noch. Ist ja so gut wie fertig. Jetzt lieber Gabi anrufen. Wegen Kino am Wochenende. Und Essen gehen beim Griechen. Scheiß auf die Stromrechnung.
So oder ähnlich kann es laufen, wenn Existenzdruck Kreativität generiert. Es gibt Menschen, bei denen genau das wunderbar funktioniert. Ich zähle mich durchaus dazu, glücklicherweise. Es ist keine Eigenschaft, die ich mir angeeignet oder in irgendeiner Weise verdient habe. Einfach mal Schwein gehabt, würde ich sagen. Wer unter Existenzdruck keinen klaren Gedanken mehr zu fassen vermag, hat als freier Autor ein existenzielles Problem.
Denn leider ist jedes Geld bald wieder ausgegeben. Vielleicht dauert es lange mit einem nächsten Auftrag. Oder es kommt eine Anfrage, aber diesmal fällt einem wirklich nichts dazu ein. Der Strom wird aufgrund unbeglichener Zahlungsrückstände abgestellt, und wenn Gabi diese Lebensumstände irgendwann keineswegs mehr romantisch findet, kann man ihr das nicht verdenken.
Neben dem Schreiben einer „Broterwerbsarbeit“ oder wenigstens einem Nebenjob nachzugehen, der einem zumindest die Stromrechnung und einige andere Dinge sichert, ist also vielleicht nicht die schlechteste Taktik. Die Frage ist allerdings, ob daneben noch genug Energie und Konzentrationsfähigkeit übrig bleibt, um Meisterwerke zu schreiben. Diese Frage kann sich jeder nur selbst beantworten. Spätestens dann, wenn man sich dem Dauerdilemma ausgeliefert sieht, immer dann gerade am liebsten schreiben zu wollen, wenn man sich mit dem weniger geliebten „Brot-Job“ beschäftigen muss. Je anspruchsvoller dieser „Brot-Job“ ist, desto schlimmer wird diese Zwickmühle. Ich, beispielsweise, hatte zu Beginn meiner Autorenkarriere erwogen, als Sonderschullehrer zu arbeiten. Freie Nachmittage, andauernd Schulferien – da ließe es sich doch ganz prima nebenbei Bestseller schreiben. Ich begriff zum Glück sehr, sehr schnell, dass ich in dieser Kombination auf Dauer weder dem Lehrerberuf noch meiner Neigung gerecht werden würde. Und weil es schon genug frustrierte Lehrer gab, entschied ich mich für die Neigung.
Mit allen Konsequenzen.
Natürlich, Sie glauben an sich und Ihre schriftstellerische Begabung. Der erste Roman muss nur erst fertig werden und beim Verlag untergebracht sein, dann rollt der Rubel! Bevor Sie jetzt Freunde anpumpen oder einen Bankkredit aufnehmen, um die paar Monate zu finanzieren, die Sie vermutlich benötigen, um diesen Roman zu schreiben:
GROSSES STOPPSCHILD!
Erst einmal überlegen: Wie viel Geld benötigen Sie monatlich zum Lebensunterhalt? Bedenken Sie dabei, dass Sie als Autor/in freiberuflich tätig sind, also Einkommenssteuerpflichtig sind, sich um die Altersversorgung kümmern müssen und dergleichen. Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt es nicht, und wenn Sie sich die Grippe einfangen und zwei Wochen flachliegen, schreibt niemand Ihren Roman weiter, alles dauert länger und Sie brauchen noch mehr Geld. Sagen wir mal, 2.000 Euro brutto im Monat sollten es schon sein. Und, mal ehrlich: Üppig gerechnet ist das nicht.
Das Thema „Schreibgeschwindigkeit“ lässt sich nochmal in der Schreibregel Nr. 8 nachlesen. Falls Sie nicht der absolute Überflieger in Sachen Tempo sind, sondern halbwegs normal ticken, benötigen Sie sechs bis sieben Monate (also 14000 Euro Lebensunterhalt), um einen unterhaltsames Taschenbuch von etwa 300 Seiten Umfang zu verfassen. Und weil es von Ihnen und deshalb hervorragend geworden ist, nimmt es auch ein Verlag unter Vertrag.
Ich habe mehrere Taschenbuch-Romane in einem großen, renommierten Verlag veröffentlicht. Umfang jeweils knapp über 300 Seiten, Ladenverkaufspreis 8,99 Euro. Preisfrage: Wie viel davon landet auf dem Konto des Autors?
Antwort: 42 Cent.
Um überhaupt nur die 14000 Euro herauszubekommen, die für Ihren Lebensunterhalt während der Schreibphase draufgegangen sind, müssten über 33000 Exemplare Ihres Romans verkauft werden (die allermeisten Bücher erreichen diese Stückzahl bei Weitem nicht, lehren Erfahrung und Statistik). Und selbst, wenn die Autorentantieme tatsächlich zur Deckung Ihrer Lebenshaltungskosten während der Schreibphase gerade eben reichen sollte: Sie wollen ja auch noch die zweite Jahreshälfte überleben. Zwar ist Ihnen dringend danach, nach erfolgreicher Beendigung des Romans erst mal Urlaub zu machen, um das Gehirn durchzupusten, aber Sie müssten möglichst schnell den nächsten Roman, das nächste Drehbuch oder Theaterstück in Angriff nehmen, weil sonst der Strom abgestellt und Gabi das gar nicht witzig finden wird.
Bleibt festzuhalten: Schreiben als ausschließlich ausgeübter Beruf bedeutet in den meisten Fällen permanente Existenzangst. Damit muss man umgehen können. Lässt man es zu, dass diese Angst die eigenen Gedanken lähmt, hat man verloren. Keine Idee = keine Geschichte = kein Honorar, so simpel ist das. Existenzangst ist eine Fessel, doch möchte man kreativ sein, sind den Gedanken unbedingt sämtliche Fesseln zu lösen. Weniger poetisch, aber noch trefflicher beschrieb es neulich ein guter Freund von mir, der als rustikaler Mann von der Küste ansonsten nicht viele Worte macht:
„Mit voller Hose kann man nicht nachdenken.“
So ist es.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen
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Autorenportrait von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
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