Schreibregel der Woche

© Autorenfoto: Hocky Neubert
„Omnia praeclara rara“, heißt es bei Cicero: „Alles Vortreffliche ist selten.“ Ob Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), dessen Lebenswerk als römischer Politiker, Redner, Philosoph und nicht zuletzt als Autor unstrittig zum Kulturerbe der Menschheit gehört, höchstpersönlich zu Lebzeiten von nennenswerten Selbstzweifeln bezüglich seiner Formulierungsgabe geplagt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ausgeschlossen ist das jedoch nicht...
Bevor du auch nur einen Satz aus deiner Feder anderen Menschen zumutest, messe ihn an der Knallkowski-Regel: Nicht gut genug für dich ist nicht gut genug für die Welt.
von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
„Omnia praeclara rara“, heißt es bei Cicero: „Alles Vortreffliche ist selten.“ Ob Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), dessen Lebenswerk als römischer Politiker, Redner, Philosoph und nicht zuletzt als Autor unstrittig zum Kulturerbe der Menschheit gehört, höchstpersönlich zu Lebzeiten von nennenswerten Selbstzweifeln bezüglich seiner Formulierungsgabe geplagt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ausgeschlossen ist das jedoch nicht...
Ein epochales Ausnahmetalent wie Cicero ist ein eigenes Kaliber. Für ein solches gilt: Wenn andere ihm applaudieren, gilt das noch lange nicht als Qualitätsbeweis seiner Arbeit. Ausnahmetalente legen sich die Messlatte selbst auf bislang unerreichte Höhen. Und befürchten dabei sicher oft, diesmal vielleicht nicht gut genug zu sein.
Schließlich ist alles Vortreffliche selten.
Deshalb erreichen, Hand aufs Herz, auch die Wenigsten von uns, die sich zur Autorin oder zum Autor berufen fühlen, einen Spitzenplatz im literarischen Olymp. Unter all denen, die eigene Texte veröffentlichen, findet man naturgemäß nur eine Handvoll Genies. Darf man deshalb hemmungslos und ungebremst alles schreiben und herausgeben? Weil ja so viele andere auch bloß mit Wasser kochen?
An dieser Stelle greift die Knallkowski-Regel.
Und sofern Sie meinen Roman „Wie mich mein Deutschlehrer fast umbrachte…“ noch nicht gelesen haben sollten, fragen Sie sich jetzt zu Recht, wer denn dieser Knallkowski überhaupt sein soll.
Ich könnte jetzt gemein sein und Ihnen vorenthalten, was ich seinerzeit mit Rosa, mit Georg und seinem Hammerstempel und eben mit jenem besagten Knallkowski im Postamt Altona erlebt habe. Aber das bin ich nicht, also hier für Sie die Knallkowski-Kurzversion, allerdings ohne die saftigen Details:
Als Student arbeitete ich während der Semesterferien im Postamt, ich schob Spätschichten bis in die Nächte hinein. Die Kollegenschar bestand aus ziemlich bunten Vögeln, doch Knallkowski (der eigentlich Kalkowski hieß, aber Knallkowski passte viel besser, glauben Sie mir) war der Schrägste von allen. Ein verlotterter Typ mittleren Alters, der sich selten zu mehr als einsilbigen Antworten aufraffte und der das Postamt jede Nacht mit seiner Aktentasche verließ, in der die Bierflaschen verräterisch klirrten. Kurzum: Ein Mensch, bei dessen Anblick es einen schon sehr verwunderte, dass er überhaupt die Adressen auf den Postsendungen zu entziffern vermochte. Ausgerechnet dieser Knallkowski enthüllte mir irgendwann in einem Anfall ungeahnter Redseligkeit am Ende einer gemeinsam durchgestandenen Schicht seine wahre Bestimmung. Nach der Arbeit pflegte er jede Nacht in seiner kargen Einzimmerbude am Schreibtisch zu sitzen, ein Bier nach dem anderen zu leeren – und zu dichten. Und zwar in klassischen, altgriechischen Versmaßen, „Archilochius maior“, „Lambelegus“ und dergleichen. Knallkowski hielt aus dem Stand einen famosen Vortrag darüber. Doch als ich ihn, gebührend beeindruckt, darum bat, eines seiner Werke lesen zu dürfen, erklärte er, das sei leider nicht möglich, denn: „Die schmeiße ich jeden Morgen in den Müll.“
Und auf meine Frage, warum er das täte, gab Knallkowski genau die Antwort, die Sie – geringfügig modifiziert – als Überschrift dieses Kapitels lesen können:
„Wenn es nicht gut genug für mich ist, ist es nicht gut genug für die Welt.“
Das ist, finde ich, die ehernste Regel für Autorinnen und Autoren. Sozusagen die Minimalforderung einer Qualitätskontrolle für alle zur Veröffentlichung bestimmten Texte. Wenn man zu strenger Selbstkritik neigt und diese konsequent anwendet, kann es natürlich dazu führen, dass man niemals etwas veröffentlicht und das Geschriebene nicht mal Freunden, Verwandten oder Kollegen zu lesen gibt. Dann landet jedes neue Werk im Mülleimer, wie bei Knallkowski.
Schade darum, aber vielleicht auch besser so. Denn wenn Sie sich schon nicht trauen, Ihren Text Freunden, Verwandten oder Kollegen zu zeigen, weil Sie deren Urteil fürchten – wie würden Sie dann erst reagieren, wenn auf dem Amazon-Portal unter Ihrem veröffentlichten Roman der erste anonyme Verriss-Kommentar auftaucht? Jemand, der Texte veröffentlicht, benötigt ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein. Denn die Kritik am Text kommt unweigerlich. Jedes Mal. Das hält man als Autor nur durch, wenn man vom eigenen Text überzeugt ist, und zwar schon vor der Herausgabe.
Die ungesunde Verwandte von Selbstbewusstsein ist Einbildung. Sie befällt die Selbstverliebten, die unerschütterlich glauben, ihre Texte sind so genial, dass man sie drucken kann, ohne darüber nachzudenken oder wenigstens noch einmal drüberzulesen. Solche literarischen Durchlauferhitzer sind zum Glück Einzelfälle. In der Praxis neigen die meisten Autoren eher dazu, die Abgabe ihres Werks an den Verlag, die Zeitungsredaktion oder die Filmproduktion lieber bis zum letztmöglichen Termin auszureizen. Jedes Mal, wenn sie ihr Skript wieder durchlesen, fällt ihnen noch eine Passage auf, die sich optimieren ließe. Dann wird umgeschrieben, ein weiteres Mal gelesen, erneut umgeschrieben und so weiter. Es gibt notorische Zweifler und Optimierer, die werden mit ihrem Schreibprojekt niemals fertig. Das ist unerheblich, sofern es sich dabei um ein Hobby oder ein sonstiges Privatvergnügen handelt und niemand auf den Text wartet. Hofft allerdings ein Abnehmer auf fristgerechte Lieferung, sieht die Sache anders aus.
Speziell dann, wenn man seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienen möchte. In diesem Fall muss einerseits der Text schnellstmöglich fertig sein, damit auch für den hoffentlich schon anstehenden nächsten Auftrag genügend Zeit bleibt. Andererseits soll der Text gut genug werden, damit der zufriedengestellte Auftraggeber demnächst wieder Nachschub ordert. Die Zwickmühle ist damit aufgestellt. Man entgeht ihr kaum, ohne Kompromisse mit den eigenen Ansprüchen zu schließen.
Ist der Schlusspunkt hinter dem letzten Satz gesetzt, stehen Sie als Autorin oder Autor also vor der persönlichen Qualitäts-Endkontrolle. Sie dürfen alle Kriterien wie Zeitmangel, chaotische Produktionsbedingungen oder wenig motivierendes Niedrig-Honorar in Ihre Rechnung einbeziehen. Gestehen Sie sich einen weiteren Abstrich zu, weil: Alles Vortreffliche ist selten. Doch am Ende dieser Kalkulation sollte Ihre geschriebene Kreation für Sie selbst gut genug sein.
Sonst ist sie nicht gut genug für die Welt.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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Autorenportrait von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Schließlich ist alles Vortreffliche selten.
Deshalb erreichen, Hand aufs Herz, auch die Wenigsten von uns, die sich zur Autorin oder zum Autor berufen fühlen, einen Spitzenplatz im literarischen Olymp. Unter all denen, die eigene Texte veröffentlichen, findet man naturgemäß nur eine Handvoll Genies. Darf man deshalb hemmungslos und ungebremst alles schreiben und herausgeben? Weil ja so viele andere auch bloß mit Wasser kochen?
An dieser Stelle greift die Knallkowski-Regel.
Und sofern Sie meinen Roman „Wie mich mein Deutschlehrer fast umbrachte…“ noch nicht gelesen haben sollten, fragen Sie sich jetzt zu Recht, wer denn dieser Knallkowski überhaupt sein soll.
Ich könnte jetzt gemein sein und Ihnen vorenthalten, was ich seinerzeit mit Rosa, mit Georg und seinem Hammerstempel und eben mit jenem besagten Knallkowski im Postamt Altona erlebt habe. Aber das bin ich nicht, also hier für Sie die Knallkowski-Kurzversion, allerdings ohne die saftigen Details:
Als Student arbeitete ich während der Semesterferien im Postamt, ich schob Spätschichten bis in die Nächte hinein. Die Kollegenschar bestand aus ziemlich bunten Vögeln, doch Knallkowski (der eigentlich Kalkowski hieß, aber Knallkowski passte viel besser, glauben Sie mir) war der Schrägste von allen. Ein verlotterter Typ mittleren Alters, der sich selten zu mehr als einsilbigen Antworten aufraffte und der das Postamt jede Nacht mit seiner Aktentasche verließ, in der die Bierflaschen verräterisch klirrten. Kurzum: Ein Mensch, bei dessen Anblick es einen schon sehr verwunderte, dass er überhaupt die Adressen auf den Postsendungen zu entziffern vermochte. Ausgerechnet dieser Knallkowski enthüllte mir irgendwann in einem Anfall ungeahnter Redseligkeit am Ende einer gemeinsam durchgestandenen Schicht seine wahre Bestimmung. Nach der Arbeit pflegte er jede Nacht in seiner kargen Einzimmerbude am Schreibtisch zu sitzen, ein Bier nach dem anderen zu leeren – und zu dichten. Und zwar in klassischen, altgriechischen Versmaßen, „Archilochius maior“, „Lambelegus“ und dergleichen. Knallkowski hielt aus dem Stand einen famosen Vortrag darüber. Doch als ich ihn, gebührend beeindruckt, darum bat, eines seiner Werke lesen zu dürfen, erklärte er, das sei leider nicht möglich, denn: „Die schmeiße ich jeden Morgen in den Müll.“
Und auf meine Frage, warum er das täte, gab Knallkowski genau die Antwort, die Sie – geringfügig modifiziert – als Überschrift dieses Kapitels lesen können:
„Wenn es nicht gut genug für mich ist, ist es nicht gut genug für die Welt.“
Das ist, finde ich, die ehernste Regel für Autorinnen und Autoren. Sozusagen die Minimalforderung einer Qualitätskontrolle für alle zur Veröffentlichung bestimmten Texte. Wenn man zu strenger Selbstkritik neigt und diese konsequent anwendet, kann es natürlich dazu führen, dass man niemals etwas veröffentlicht und das Geschriebene nicht mal Freunden, Verwandten oder Kollegen zu lesen gibt. Dann landet jedes neue Werk im Mülleimer, wie bei Knallkowski.
Schade darum, aber vielleicht auch besser so. Denn wenn Sie sich schon nicht trauen, Ihren Text Freunden, Verwandten oder Kollegen zu zeigen, weil Sie deren Urteil fürchten – wie würden Sie dann erst reagieren, wenn auf dem Amazon-Portal unter Ihrem veröffentlichten Roman der erste anonyme Verriss-Kommentar auftaucht? Jemand, der Texte veröffentlicht, benötigt ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein. Denn die Kritik am Text kommt unweigerlich. Jedes Mal. Das hält man als Autor nur durch, wenn man vom eigenen Text überzeugt ist, und zwar schon vor der Herausgabe.
Die ungesunde Verwandte von Selbstbewusstsein ist Einbildung. Sie befällt die Selbstverliebten, die unerschütterlich glauben, ihre Texte sind so genial, dass man sie drucken kann, ohne darüber nachzudenken oder wenigstens noch einmal drüberzulesen. Solche literarischen Durchlauferhitzer sind zum Glück Einzelfälle. In der Praxis neigen die meisten Autoren eher dazu, die Abgabe ihres Werks an den Verlag, die Zeitungsredaktion oder die Filmproduktion lieber bis zum letztmöglichen Termin auszureizen. Jedes Mal, wenn sie ihr Skript wieder durchlesen, fällt ihnen noch eine Passage auf, die sich optimieren ließe. Dann wird umgeschrieben, ein weiteres Mal gelesen, erneut umgeschrieben und so weiter. Es gibt notorische Zweifler und Optimierer, die werden mit ihrem Schreibprojekt niemals fertig. Das ist unerheblich, sofern es sich dabei um ein Hobby oder ein sonstiges Privatvergnügen handelt und niemand auf den Text wartet. Hofft allerdings ein Abnehmer auf fristgerechte Lieferung, sieht die Sache anders aus.
Speziell dann, wenn man seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdienen möchte. In diesem Fall muss einerseits der Text schnellstmöglich fertig sein, damit auch für den hoffentlich schon anstehenden nächsten Auftrag genügend Zeit bleibt. Andererseits soll der Text gut genug werden, damit der zufriedengestellte Auftraggeber demnächst wieder Nachschub ordert. Die Zwickmühle ist damit aufgestellt. Man entgeht ihr kaum, ohne Kompromisse mit den eigenen Ansprüchen zu schließen.
Ist der Schlusspunkt hinter dem letzten Satz gesetzt, stehen Sie als Autorin oder Autor also vor der persönlichen Qualitäts-Endkontrolle. Sie dürfen alle Kriterien wie Zeitmangel, chaotische Produktionsbedingungen oder wenig motivierendes Niedrig-Honorar in Ihre Rechnung einbeziehen. Gestehen Sie sich einen weiteren Abstrich zu, weil: Alles Vortreffliche ist selten. Doch am Ende dieser Kalkulation sollte Ihre geschriebene Kreation für Sie selbst gut genug sein.
Sonst ist sie nicht gut genug für die Welt.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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