Schreibregel der Woche

© Autorenfoto: Hocky Neubert
Noch einmal eine Variante des bereits in der 8. Schreibregel erwähnten Schulzeit-Albtraums: Die Arbeitshefte werden ausgeteilt, das Thema für den Aufsatz bekanntgegeben, los geht‘s. Alle anderen schreiben eifrig, Sie scheitern leider bereits bei der Einleitung. 87 brotlose Versuche eines Anfangssatzes später klingelt der Schlussgong. Sie wanken konsterniert aus dem Klassenzimmer – und spätestens auf der Treppe zum Pausenhof steht Ihnen der komplette Aufsatz mit Einleitung, Hauptteil und Fazit so klar vor Augen, dass Sie unwillkürlich am eigenen Verstand zweifeln...
Je länger man über etwas nachdenkt, desto mehr lässt sich darüber schreiben
von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Noch einmal eine Variante des bereits in der 8. Schreibregel erwähnten Schulzeit-Albtraums: Die Arbeitshefte werden ausgeteilt, das Thema für den Aufsatz bekanntgegeben, los geht‘s. Alle anderen schreiben eifrig, Sie scheitern leider bereits bei der Einleitung. 87 brotlose Versuche eines Anfangssatzes später klingelt der Schlussgong. Sie wanken konsterniert aus dem Klassenzimmer – und spätestens auf der Treppe zum Pausenhof steht Ihnen der komplette Aufsatz mit Einleitung, Hauptteil und Fazit so klar vor Augen, dass Sie unwillkürlich am eigenen Verstand zweifeln...
Noch ein Klassiker aus dem Alltagsdasein: Jemand sagt etwas, eigentlich will man es nicht unkommentiert hinnehmen. Aber diese Bemerkung und die ganze Situation lähmen einen. Nur noch Nebel im Kopf, keine Antwort. Erst Stunden, Tage oder gar Wochen später – nachdem einem diese Angelegenheit immer wieder durch den Kopf gegangen ist – fällt einem plötzlich die geniale, wohldosiert angemessene Formulierung ein, mit der man damals alles entschärft, umgebogen und zu eigenen Gunsten gestaltet hätte.
Zu spät.
Diese Beispiele zeigen: Man kann sein Bestes nicht immer und stets wie auf Knopfdruck abrufen. Beim Erfinden und Aufschreiben von Geschichten funktioniert das auch nicht. Über Schreibdisziplin haben wir ja bereits gesprochen. Alle Disziplin ist jedoch vergeblich, wenn einem partout nichts zum Thema einfällt.
Dann muss man darüber nachdenken.
„Konzentriere dich!“ fordert man gern vernagelte Schulkinder auf.
„Reiß‘ dich endlich zusammen, konzentriere dich!“ beschwört man sich selber.
Also verharrt man am Schreibtisch, glotzt den Monitor an und brütet. Vermeidet alle Außenreize, vielleicht sogar so konsequent wie der Bestsellerautor Jonathan Franzen, in dessen Arbeitszimmer nur ein kahler Schreibtisch mit Schreibcomputer und ein Stuhl stehen. Diesem Computer fehlt absichtlich der Internetzugang, damit der Schriftsteller nicht in Versuchung gerät, sich vom digitalen Netzgeschehen ablenken zu lassen. Man könnte noch blickdichte Vorhänge vor den Fenstern zuziehen, konsequent die Nahrungsaufnahme verweigern und den Stuhlgang einstellen – das alles garantiert nicht, dass einem etwas Zweckdienliches zur geplanten Geschichte einfällt.
Und nun? Kapitulation?
Niemals.
Bewegt sich Ihre Schreibarbeit nicht vom Fleck, dann bewegen Sie sich. Die hohe Kunst des Überlegens besteht darin, den unklaren Punkt einfach mal loszulassen und eine Weile unbeobachtet zu lassen – um ihn dann nach der Auszeit von anderer Seite her anzupacken und erfolgreich zu bearbeiten. Das funktioniert nach dem Prinzip eines sportlichen Intervalltrainings, bei dem sich ja Phasen der Höchstanstrengung mit Entspannungsperioden abwechseln. Die Ausgangslage ist klar: Sie stecken mit Ihrer Schreibgeschichte fest. Also gehen Sie spazieren. Nicht gleich beim Auftauchen des ersten Denk-Hindernisses, aber wenn man sich bereits mehr als zwei Stunden gequält hat, ohne auf eine tragfähige Problemlösung zu kommen, wird es Zeit für „Plan B“ – den Intervall-Spaziergang.
Machen Sie sich auf den Weg. Hilfreich ist die Wahl einer vertrauten Runde, die Sie schon so oft gegangen sind, dass sich die Ablenkung durch unerwartete Sensationen entlang der Strecke in Grenzen hält. Beim Start sehen Sie kurz nach der Uhrzeit. Und Abmarsch. Lassen Sie Ihre Gedanken schweifen, egal wohin – bloß nicht zur festgefahrenen Arbeit. Daran denken Sie bitte keinesfalls, die ist tabu. Mindestens für 20 Minuten. Danach nehmen Sie sich gedanklich wieder Ihr Schreibproblem vor, alles im Gehen. Nach weiteren 20 Minuten lassen Sie wieder locker, aber diesmal nur für zehn Minuten. Zum Schluss versuchen Sie während der letzten zehn Minuten Ihre Problemlösung auf der Zielgeraden festzunageln. Es kann durchaus passieren, dass Ihnen trotzdem nichts Brauchbares einfällt.
Aber dann sind Sie wenigstens eine Stunde lang spazieren gegangen. Das ist gesund und Ihr Tag war nicht vergebens.
Das entscheidende Erfolgsprinzip allen angestrengten Nachdenkens ist das zwischenzeitliche Absetzen, lockerlassen, Perspektive verändern. Das beherzigen wirklich sämtliche mir bekannten Autorenkolleginnen und -kollegen. Viele wählen den Spaziergang als „Plan B“. Andere legen sich in die Badewanne oder machen Yoga-Übungen, beides, um den Körper zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen – um danach das Schreibproblem erneut zu attackieren. Ich kenne sogar Kollegen, die setzen sich ins Auto und fahren einfach so durch die Gegend, um sich etwas einfallen zu lassen. Auch so erreicht man Perspektivwechsel, auch das kann funktionieren.
Manchmal funktioniert trotzdem alles nicht. Und man nimmt das verdammte Problem mit in die Nacht, in den nächsten Tag und, wenn es besonders garstig läuft, mit in die nächsten Wochen.
Nicht aufgeben, bitte.
Die Lösung wird Sie vermutlich ereilen, wenn Sie am allerwenigsten daran denken. Irgendwo im Supermarkt beim Einkaufen, während eines Schulelternabends oder mitten im Liebesspiel, jedenfalls in einem höchstwahrscheinlich denkbar unpassenden Moment. Legen Sie diese goldene Lösung innerlich sofort an die Gedächtniskette, falls Sie sie nicht im nächsten Moment auf Papier notieren können, weil Ihnen das die anderen Leute in der Kassen-Warteschlange, der Klassenlehrer oder Ihr(e) Bettpartner/in niemals verzeihen würden. Und danach geht es so schnell wie möglich zurück an den Schreibtisch, herzlichen Glückwunsch.
Ist der gordische Gehirnknoten einmal durchschlagen, werden Sie sich vermutlich wundern, wie viel Ihnen nun dazu einfällt, obwohl Ihnen doch zuvor so quälend lange rein gar nichts dazu eingefallen ist. Auch das ist normal. Sie haben so lange über diese Sache nachgedacht, sie gedreht, gewendet und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet, dass Sie nun sozusagen Experte darin sind.
Und je länger man über etwas nachdenkt, desto mehr lässt sich darüber schreiben.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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Autorenportrait von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Zu spät.
Diese Beispiele zeigen: Man kann sein Bestes nicht immer und stets wie auf Knopfdruck abrufen. Beim Erfinden und Aufschreiben von Geschichten funktioniert das auch nicht. Über Schreibdisziplin haben wir ja bereits gesprochen. Alle Disziplin ist jedoch vergeblich, wenn einem partout nichts zum Thema einfällt.
Dann muss man darüber nachdenken.
„Konzentriere dich!“ fordert man gern vernagelte Schulkinder auf.
„Reiß‘ dich endlich zusammen, konzentriere dich!“ beschwört man sich selber.
Also verharrt man am Schreibtisch, glotzt den Monitor an und brütet. Vermeidet alle Außenreize, vielleicht sogar so konsequent wie der Bestsellerautor Jonathan Franzen, in dessen Arbeitszimmer nur ein kahler Schreibtisch mit Schreibcomputer und ein Stuhl stehen. Diesem Computer fehlt absichtlich der Internetzugang, damit der Schriftsteller nicht in Versuchung gerät, sich vom digitalen Netzgeschehen ablenken zu lassen. Man könnte noch blickdichte Vorhänge vor den Fenstern zuziehen, konsequent die Nahrungsaufnahme verweigern und den Stuhlgang einstellen – das alles garantiert nicht, dass einem etwas Zweckdienliches zur geplanten Geschichte einfällt.
Und nun? Kapitulation?
Niemals.
Bewegt sich Ihre Schreibarbeit nicht vom Fleck, dann bewegen Sie sich. Die hohe Kunst des Überlegens besteht darin, den unklaren Punkt einfach mal loszulassen und eine Weile unbeobachtet zu lassen – um ihn dann nach der Auszeit von anderer Seite her anzupacken und erfolgreich zu bearbeiten. Das funktioniert nach dem Prinzip eines sportlichen Intervalltrainings, bei dem sich ja Phasen der Höchstanstrengung mit Entspannungsperioden abwechseln. Die Ausgangslage ist klar: Sie stecken mit Ihrer Schreibgeschichte fest. Also gehen Sie spazieren. Nicht gleich beim Auftauchen des ersten Denk-Hindernisses, aber wenn man sich bereits mehr als zwei Stunden gequält hat, ohne auf eine tragfähige Problemlösung zu kommen, wird es Zeit für „Plan B“ – den Intervall-Spaziergang.
Machen Sie sich auf den Weg. Hilfreich ist die Wahl einer vertrauten Runde, die Sie schon so oft gegangen sind, dass sich die Ablenkung durch unerwartete Sensationen entlang der Strecke in Grenzen hält. Beim Start sehen Sie kurz nach der Uhrzeit. Und Abmarsch. Lassen Sie Ihre Gedanken schweifen, egal wohin – bloß nicht zur festgefahrenen Arbeit. Daran denken Sie bitte keinesfalls, die ist tabu. Mindestens für 20 Minuten. Danach nehmen Sie sich gedanklich wieder Ihr Schreibproblem vor, alles im Gehen. Nach weiteren 20 Minuten lassen Sie wieder locker, aber diesmal nur für zehn Minuten. Zum Schluss versuchen Sie während der letzten zehn Minuten Ihre Problemlösung auf der Zielgeraden festzunageln. Es kann durchaus passieren, dass Ihnen trotzdem nichts Brauchbares einfällt.
Aber dann sind Sie wenigstens eine Stunde lang spazieren gegangen. Das ist gesund und Ihr Tag war nicht vergebens.
Das entscheidende Erfolgsprinzip allen angestrengten Nachdenkens ist das zwischenzeitliche Absetzen, lockerlassen, Perspektive verändern. Das beherzigen wirklich sämtliche mir bekannten Autorenkolleginnen und -kollegen. Viele wählen den Spaziergang als „Plan B“. Andere legen sich in die Badewanne oder machen Yoga-Übungen, beides, um den Körper zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen – um danach das Schreibproblem erneut zu attackieren. Ich kenne sogar Kollegen, die setzen sich ins Auto und fahren einfach so durch die Gegend, um sich etwas einfallen zu lassen. Auch so erreicht man Perspektivwechsel, auch das kann funktionieren.
Manchmal funktioniert trotzdem alles nicht. Und man nimmt das verdammte Problem mit in die Nacht, in den nächsten Tag und, wenn es besonders garstig läuft, mit in die nächsten Wochen.
Nicht aufgeben, bitte.
Die Lösung wird Sie vermutlich ereilen, wenn Sie am allerwenigsten daran denken. Irgendwo im Supermarkt beim Einkaufen, während eines Schulelternabends oder mitten im Liebesspiel, jedenfalls in einem höchstwahrscheinlich denkbar unpassenden Moment. Legen Sie diese goldene Lösung innerlich sofort an die Gedächtniskette, falls Sie sie nicht im nächsten Moment auf Papier notieren können, weil Ihnen das die anderen Leute in der Kassen-Warteschlange, der Klassenlehrer oder Ihr(e) Bettpartner/in niemals verzeihen würden. Und danach geht es so schnell wie möglich zurück an den Schreibtisch, herzlichen Glückwunsch.
Ist der gordische Gehirnknoten einmal durchschlagen, werden Sie sich vermutlich wundern, wie viel Ihnen nun dazu einfällt, obwohl Ihnen doch zuvor so quälend lange rein gar nichts dazu eingefallen ist. Auch das ist normal. Sie haben so lange über diese Sache nachgedacht, sie gedreht, gewendet und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet, dass Sie nun sozusagen Experte darin sind.
Und je länger man über etwas nachdenkt, desto mehr lässt sich darüber schreiben.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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