Schreibregel der Woche

© Autorenfoto: Hocky Neubert
Ich freue mich über alle, die schreiben. Schon, weil es in einer Welt der vielen unbedachten Worte erfreulich ist, wenn sie nicht einfach herausposaunt, sondern zumindest so lange abgewogen werden, wie es dauert, sie schriftlich festzuhalten. Viele Leute füllen maximal Formulare oder Kreuzworträtsel aus, schreiben mal eine E-Mail oder eine SMS aus dem Urlaub oder chatten rund um die Uhr in rudimentären Halbsätzen auf WhatsApp. Doch erstaunlich viele Menschen schreiben eigene Erlebnisse oder erfundene Geschichten auf und hegen den innigen Wunsch, diese Texte zu veröffentlichen...
Interessieren sich Leser nur aus alter Freundschaft für dein Werk, vergiss es
von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Ich freue mich über alle, die schreiben. Schon, weil es in einer Welt der vielen unbedachten Worte erfreulich ist, wenn sie nicht einfach herausposaunt, sondern zumindest so lange abgewogen werden, wie es dauert, sie schriftlich festzuhalten. Viele Leute füllen maximal Formulare oder Kreuzworträtsel aus, schreiben mal eine E-Mail oder eine SMS aus dem Urlaub oder chatten rund um die Uhr in rudimentären Halbsätzen auf WhatsApp. Doch erstaunlich viele Menschen schreiben eigene Erlebnisse oder erfundene Geschichten auf und hegen den innigen Wunsch, diese Texte zu veröffentlichen...
Seit vielen Jahren bin ich mit meinen eigenen Büchern landauf und landab auf Lesereisen unterwegs. Doch egal, in welcher Region, in welcher Stadt oder welchem Dorf und aus welchem Buch ich lese: Es vergeht nur selten eine Veranstaltung, ohne dass jemand zu mir kommt, um mir zu gestehen, er oder sie würde auch gerne ein Buch veröffentlichen. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, einige dieser Menschen besuchen die Veranstaltung weniger wegen der Lesung an sich, sondern weil sie endlich mit einem echten Schriftsteller über ihr eigenen literarischen Ambitionen reden möchten.
Das verstehe ich sehr gut.
Wenn man als gestandener Autor erzählt, man arbeite gerade an einem neuen Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll – dann ist das eine Äußerung, die alle völlig in Ordnung finden. Wenn man jedoch weder jemals ein Buch noch sonst etwas veröffentlicht hat, beruflich nichts mit dem Literaturbetrieb oder wenigstens mit Journalismus zu tun hat und trotzdem erklärt, man schriebe einen Roman – in dem Fall hält sich der Zuspruch in Grenzen. Und hat man weder einen guten Schulabschluss noch einen besonders aufregenden Beruf, dann lächeln alle bloß mitleidig. Keiner glaubt an sowas.
Sie etwa?
Stellen Sie sich bitte vor, Sie befänden sich im Jahr 1996. Auf einer Party lernen Sie eine Frau kennen. Sie ist Engländerin, jenseits der 30 und hat schon einiges hinter sich.
„Nach der Schule hab‘ ich studiert“, erzählt sie Ihnen. „Klassische Altertumswissenschaft.“
Au Backe, denken Sie, ziemlich brotlos, so ein Abschluss. Und Sie haben absolut Recht.
„Damit war nicht viel anzufangen“, gesteht Ihre neue Bekanntschaft freimütig ein. „Also habe ich in London Bürojobs angenommen, mal hier, mal da. Zwei Jahre lang sogar für Amnesty International. Aber dann kam die Liebe dazwischen und ich bin zu meinem Freund nach Manchester gezogen. Da war nicht mehr viel mit bezahlter Arbeit. Außerdem ging die Beziehung bald in die Binsen, meine Mutter ist gestorben, ich hab’s echt nicht mehr ausgehalten in England …“
Eigentlich würden Sie viel lieber über Fußball reden. Hey, es ist 1996: Deutschland ist gerade Europameister geworden. In England, haha. Aber diese Engländerin breitet vor Ihnen ihre Lebensgeschichte aus. Und höflich, wie Sie sind, lauschen Sie ergeben.
„Ich bin also auf den Kontinent gezogen, nach Portugal. Dort habe ich in Porto Englischunterricht gegeben. Zuerst jedenfalls. Dann kam nämlich Jorge, ein besonders netter Portugiese. Wir heirateten und bekamen eine Tochter, danach war es sehr bald leider nicht mehr so nett mit Jorge. Wir ließen uns scheiden, ich nahm die Kleine mit zurück auf die Insel …“
Chaos-Queen, denken Sie bei sich. Um auch mal was zu sagen, soufflieren Sie: „Zurück nach London?“
„Nach Edinburgh“, sagt die Dame. „Da wohnen wir nun. Seit drei Jahren.“
„Kein Job?“
Sie zuckt die Achseln. „Alleinerziehend. Sozialhilfe.“
Kaputte Biografie, denken Sie. Sackgasse. Aus dem Sumpf kommt man nur schwer wieder heraus. Nette Frau, schade eigentlich.
Ihr Gegenüber wittert Ihre Gefühle.
„Ist aber nicht so, dass ich nichts mache“, eröffnet sie Ihnen. „Ich habe nämlich ein Buch geschrieben!“
„Aha“, wundern Sie sich, „wo ist es denn erschienen?“
„Nun ja...“ Sie zögert verlegen, wagt dann einen Vorstoß. „Vielleicht haben Sie ja eine Idee, wohin ich damit soll. Bisher wollte es niemand. Wissen Sie, die Geschichte ist mir mal während einer Zugfahrt nach Manchester eingefallen …“
Spätestens jetzt suchen Sie das Weite, um diese offensichtliche Traumtänzerin und ihr Buch so schnell wie möglich zu vergessen.
Schade, eigentlich. Sonst hätten Sie nämlich Joanne K. Rowling noch besser kennengelernt, vielleicht sogar ihr Buch „Harry Potter und der Stein der Weisen“ als Agent vermittelt oder als Verleger veröffentlicht und wären heute steinreich.
Nun, Joanne K. Rowling hat es schließlich auch ohne Sie geschafft. Die „Harry Potter“–Buchreihe wurde eines der finanziell erfolgreichsten Projekte der Literaturgeschichte. Dazu kam es nur, weil sich die Autorin nicht von Verlagsabsagen entmutigen ließ. Die gab es nämlich sogar in diesem Fall. Denn noch schwerer, als einen Roman zu schreiben, ist es, andere Menschen davon zu überzeugen, dass diese Geschichte es wert ist, veröffentlicht zu werden.
Deswegen höre ich geduldig zu, wenn Leute zu mir kommen und mir von ihren eigenen literarischen Ambitionen erzählen. Meine Standardfrage ist danach immer: „Haben Sie das schon mal jemandem zu Lesen gegeben?“
Die Meisten zählen dann Testleser aus ihrem Familien- und Freundeskreis auf. Und diese Probanden fanden die Lektüre natürlich super. Was auch sonst, wenn im Kritikfall Liebes- oder Taschengeldentzug oder gleich beides droht.
Mein Rat ist folgender: Suchen Sie sich als Testleser einen oder besser noch mehrere Menschen, die Ihnen nicht besonders nahestehen. Wichtig ist nur, dass diese Leute mehr lesen als nur alle Jubeljahre mal ein Buch im Urlaub. Nützlich wäre, wenn sie ihre übliche Lektüre bevorzugt aus einem Genre wählen, in dem sich Ihr Werk ebenfalls bewegt – es macht wenig Sinn, einen ausschließlichen Hardcore-Thriller-Konsumenten mit einem pilcheresken Liebesroman überzeugen zu wollen.
Natürlich riskieren Sie bei solcher Testleser-Kandidatenwahl für Ihr Werk möglicherweise Ablehnung. Vielleicht sogar Hohn und Spott. Andererseits, Sie möchten es veröffentlichen. Dann würden Sie die Kritik fremder Menschen ohnehin aushalten müssen.
Doch aushalten ist nicht alles. Man kann aus Kritik ja auch lernen. Wenn alle (oder beinahe alle) „neutralen Testleser“ über die gleichen Textmängel klagen, Ihre probelesenden Freunde und Familienmitglieder jedoch nichts zu beanstanden haben – glauben Sie den „Neutralen“. Und bleiben Freunde und Familie die Einzigen, die Ihr Werk angeblich interessant finden, wäre es vielleicht an der Zeit, den Plan mit der Veröffentlichung grundsätzlich zu überdenken.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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Autorenportrait von Jan Schröter
© Autorenfoto: Hocky Neubert
Das verstehe ich sehr gut.
Wenn man als gestandener Autor erzählt, man arbeite gerade an einem neuen Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll – dann ist das eine Äußerung, die alle völlig in Ordnung finden. Wenn man jedoch weder jemals ein Buch noch sonst etwas veröffentlicht hat, beruflich nichts mit dem Literaturbetrieb oder wenigstens mit Journalismus zu tun hat und trotzdem erklärt, man schriebe einen Roman – in dem Fall hält sich der Zuspruch in Grenzen. Und hat man weder einen guten Schulabschluss noch einen besonders aufregenden Beruf, dann lächeln alle bloß mitleidig. Keiner glaubt an sowas.
Sie etwa?
Stellen Sie sich bitte vor, Sie befänden sich im Jahr 1996. Auf einer Party lernen Sie eine Frau kennen. Sie ist Engländerin, jenseits der 30 und hat schon einiges hinter sich.
„Nach der Schule hab‘ ich studiert“, erzählt sie Ihnen. „Klassische Altertumswissenschaft.“
Au Backe, denken Sie, ziemlich brotlos, so ein Abschluss. Und Sie haben absolut Recht.
„Damit war nicht viel anzufangen“, gesteht Ihre neue Bekanntschaft freimütig ein. „Also habe ich in London Bürojobs angenommen, mal hier, mal da. Zwei Jahre lang sogar für Amnesty International. Aber dann kam die Liebe dazwischen und ich bin zu meinem Freund nach Manchester gezogen. Da war nicht mehr viel mit bezahlter Arbeit. Außerdem ging die Beziehung bald in die Binsen, meine Mutter ist gestorben, ich hab’s echt nicht mehr ausgehalten in England …“
Eigentlich würden Sie viel lieber über Fußball reden. Hey, es ist 1996: Deutschland ist gerade Europameister geworden. In England, haha. Aber diese Engländerin breitet vor Ihnen ihre Lebensgeschichte aus. Und höflich, wie Sie sind, lauschen Sie ergeben.
„Ich bin also auf den Kontinent gezogen, nach Portugal. Dort habe ich in Porto Englischunterricht gegeben. Zuerst jedenfalls. Dann kam nämlich Jorge, ein besonders netter Portugiese. Wir heirateten und bekamen eine Tochter, danach war es sehr bald leider nicht mehr so nett mit Jorge. Wir ließen uns scheiden, ich nahm die Kleine mit zurück auf die Insel …“
Chaos-Queen, denken Sie bei sich. Um auch mal was zu sagen, soufflieren Sie: „Zurück nach London?“
„Nach Edinburgh“, sagt die Dame. „Da wohnen wir nun. Seit drei Jahren.“
„Kein Job?“
Sie zuckt die Achseln. „Alleinerziehend. Sozialhilfe.“
Kaputte Biografie, denken Sie. Sackgasse. Aus dem Sumpf kommt man nur schwer wieder heraus. Nette Frau, schade eigentlich.
Ihr Gegenüber wittert Ihre Gefühle.
„Ist aber nicht so, dass ich nichts mache“, eröffnet sie Ihnen. „Ich habe nämlich ein Buch geschrieben!“
„Aha“, wundern Sie sich, „wo ist es denn erschienen?“
„Nun ja...“ Sie zögert verlegen, wagt dann einen Vorstoß. „Vielleicht haben Sie ja eine Idee, wohin ich damit soll. Bisher wollte es niemand. Wissen Sie, die Geschichte ist mir mal während einer Zugfahrt nach Manchester eingefallen …“
Spätestens jetzt suchen Sie das Weite, um diese offensichtliche Traumtänzerin und ihr Buch so schnell wie möglich zu vergessen.
Schade, eigentlich. Sonst hätten Sie nämlich Joanne K. Rowling noch besser kennengelernt, vielleicht sogar ihr Buch „Harry Potter und der Stein der Weisen“ als Agent vermittelt oder als Verleger veröffentlicht und wären heute steinreich.
Nun, Joanne K. Rowling hat es schließlich auch ohne Sie geschafft. Die „Harry Potter“–Buchreihe wurde eines der finanziell erfolgreichsten Projekte der Literaturgeschichte. Dazu kam es nur, weil sich die Autorin nicht von Verlagsabsagen entmutigen ließ. Die gab es nämlich sogar in diesem Fall. Denn noch schwerer, als einen Roman zu schreiben, ist es, andere Menschen davon zu überzeugen, dass diese Geschichte es wert ist, veröffentlicht zu werden.
Deswegen höre ich geduldig zu, wenn Leute zu mir kommen und mir von ihren eigenen literarischen Ambitionen erzählen. Meine Standardfrage ist danach immer: „Haben Sie das schon mal jemandem zu Lesen gegeben?“
Die Meisten zählen dann Testleser aus ihrem Familien- und Freundeskreis auf. Und diese Probanden fanden die Lektüre natürlich super. Was auch sonst, wenn im Kritikfall Liebes- oder Taschengeldentzug oder gleich beides droht.
Mein Rat ist folgender: Suchen Sie sich als Testleser einen oder besser noch mehrere Menschen, die Ihnen nicht besonders nahestehen. Wichtig ist nur, dass diese Leute mehr lesen als nur alle Jubeljahre mal ein Buch im Urlaub. Nützlich wäre, wenn sie ihre übliche Lektüre bevorzugt aus einem Genre wählen, in dem sich Ihr Werk ebenfalls bewegt – es macht wenig Sinn, einen ausschließlichen Hardcore-Thriller-Konsumenten mit einem pilcheresken Liebesroman überzeugen zu wollen.
Natürlich riskieren Sie bei solcher Testleser-Kandidatenwahl für Ihr Werk möglicherweise Ablehnung. Vielleicht sogar Hohn und Spott. Andererseits, Sie möchten es veröffentlichen. Dann würden Sie die Kritik fremder Menschen ohnehin aushalten müssen.
Doch aushalten ist nicht alles. Man kann aus Kritik ja auch lernen. Wenn alle (oder beinahe alle) „neutralen Testleser“ über die gleichen Textmängel klagen, Ihre probelesenden Freunde und Familienmitglieder jedoch nichts zu beanstanden haben – glauben Sie den „Neutralen“. Und bleiben Freunde und Familie die Einzigen, die Ihr Werk angeblich interessant finden, wäre es vielleicht an der Zeit, den Plan mit der Veröffentlichung grundsätzlich zu überdenken.
Diese Regel stammt aus dem Tatort-Schreibtisch-Buch:
Jan Schröters "Goldene Schreibregeln" - 22 Tipps für Autoren und alle, die es werden wollen

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