Frage der Woche
Mit diesem Problem sind Sie nicht alleine. Schließlich verbringen wir Autor/innen so viel Zeit mit unseren Figuren, dass wir sie oft besser kennen als unsere Familie oder unsere Freunde, die bisweilen wohl auf unser Romanpersonal eifersüchtig sind....
Die Figuren entspringen immer unserem Geiste, manchmal dem Unterbewussten, aber sie sind immer unsere Geschöpfe, es gibt keine Eingriffe von außen. Sie können sich auch nicht selbst entwickeln. Wenn wir also Figuren mögen oder nicht, hat das immer ausschließlich mit uns zu tun.
Und wenn Sie gar nicht mehr mit Ihrer Hauptfigur klarkommen, und Sie komplett loswerden wollen, können Sie zu einem beliebten Serien-Trick greifen: Schenken Sie ihr einen spannenden, plausiblen, dramatischen und unvergesslichen Tod. George R.R. Martin (Autor der Buchvorlage der Serie „Games of Thrones“) macht das schließlich ständig. ;-)
Jennifer B. Wind, Bestsellerautorin aus Österreich, sprudelt nur so vor Ideen, was nicht nur ihre Werke, sondern auch ihr Leben spannend macht. Sie arbeitete als Journalistin und als Flugbegleiterin, war Mitglied einer Musicalcompany, stand vor der Kamera und auf der Bühne und ließ sich berufsbegleitend zur Drehbuchautorin ausbilden. Gleich ihr Debüt, der Thriller „Als Gott schlief“, wurde zum Bestseller. Inzwischen kümmert Sie sich auch um Nachwuchsautoren, ist Autorenpatin bei „Tatort-Schreibtisch“ und hat eine Webseite, auf der Sie viel von sich erzählt: www.jennifer-b-wind.com
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Ich mag meine Hauptfigur von Seite zu Seite weniger, während mir eine Nebenfigur immer mehr ans Herz wächst. Was soll ich tun?
Von Jennifer B. WindMit diesem Problem sind Sie nicht alleine. Schließlich verbringen wir Autor/innen so viel Zeit mit unseren Figuren, dass wir sie oft besser kennen als unsere Familie oder unsere Freunde, die bisweilen wohl auf unser Romanpersonal eifersüchtig sind....
Für mich werden meine Figuren im Geiste oft derart lebendig, dass ich mich manchmal dabei ertappe, ein zusätzliches Besteck aufzulegen oder eine Protagonistin anrufen zu wollen, weil ich mit ihr doch prima reden könnte und sie mich besser verstehen würde als meine realen Freunde. Ok! Ganz so schlimm ist es nicht ... ;-)
Aber im besten Fall kennt man seine Hauptfigur richtig gut, was nicht unbedingt bedeutet, dass man sie auch liebt. Schließlich gibt es jede Menge Bücher mit sogenannten Antihelden. Mit Menschen, die wir nicht unbedingt in unserem Freundeskreis haben wollen, beziehungsweise die uns unsympathisch sind.
Noch spezieller ist es natürlich, wenn man an seinem ersten oder zweiten Roman einer Serie schreibt und die Hauptfigur Züge bekommt, die wir als Autor/in nicht mögen. Einerseits ist es gut, wenn eine Figur nicht den ganzen Roman oder die Serie über immer dieselbe bleibt und sich charakterlich gar nicht verändert. Denn die Entwicklung der Figur ist wichtig, auch wenn sie mitunter in eine andere Richtung geht, als wir es ursprünglich wollten. Andererseits ist der Mensch ein Gewohnheitstier und verändert sich nur in Maßen. Eine extreme Veränderung der Figur ohne plausiblen Grund sollte man als Autor/in vermeiden.
Was mich zu der Frage führt, warum Sie Ihre Hauptfigur plötzlich nicht mehr mögen. Oder mochten Sie sie vielleicht nie besonders? Haben Sie ihr von Anfang an Züge gegeben, die Sie innerlich ablehnen, und stattdessen die Nebenfigur mit Charaktereigenschaften ausgestattet, die Sie toll finden? Oder hat sich Ihre Hauptfigur nach und nach negativ verändert?
Gehen Sie noch einmal an den Anfang und finden Sie die Stelle, ab der Sie Ihre Figur nicht mehr mochten, oder jene Stelle, an der die Nebenfigur der Hauptfigur den Rang abgelaufen hat. Was war das auslösende Ereignis?
Versuchen Sie diese Übung: Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, beide Figuren sind bei Ihnen zum Kaffee eingeladen. Wie ist die Stimmung? Was würden Sie die Figuren gerne fragen? Was ihnen sagen? Oder werden Sie konkret: Werfen Sie der Figur an den Kopf, warum Sie sie nicht mögen: „Ich mag dich nicht, weil…“ Möglicherweise kommen Sie so auf des Rätsels Lösung. Wenn nicht, gehen Sie noch einmal in sich.
Sie müssen am Ende ganz klar hinter Ihrem Buch stehen. Denken Sie zwei Jahre voraus. Das Buch ist erschienen, Sie lesen daraus vor Publikum. Fühlen Sie sich wohl dabei? Oder ärgert sich Ihr zukünftiges Ich, nicht auf Ihre Gefühle gehört zu haben?
Ich weiß natürlich jetzt nicht, wie weit Sie schon mit Ihrem Roman sind, und auch nicht, ob es der erste ist und wie sehr der Abgabetermin schon drängt. Grundsätzlich aber hindert Sie nichts daran, Ihrer ursprünglich als Nebenfigur angelegten Figur mehr Raum zu geben. So etwas passiert vor allem in der TV-Serienwelt sehr häufig.
Klaus Michaelson, eine Figur aus „The Vampire Diaries“, sollte ursprünglich nach wenigen Auftritten als Bösewicht für immer sterben und somit aus der Serie geschrieben werden. Er war allerdings sowohl den Fans als auch den Drehbuchautoren, die gleichzeitig die Produzenten der Serie sind, derart ans Herz gewachsen, dass er viel länger als geplant in der Show blieb und mittlerweile eine eigene Spin-Off-Serie erhalten hat, die ebenso erfolgreich läuft.
Figuren überraschen uns immer wieder. Auch mir passierte etwas Derartiges beim Schreiben meines ersten Thrillers. Ursprünglich war das Buch mit einem Duo geplant. Meine Protagonistin Jutta stand klar im Vordergrund, ihr Partner war ihr Vorgesetzter Georg. Doch der junge Kollege Tom, der als Nebenfigur gedacht war, brachte richtig viel Dynamik ins Spiel, er sorgte für Abwechslung und ich mochte ihn sehr. Ich drückte ihm immer mehr Eigenschaften aufs Auge, die mir gefielen. Fazit: Ich wollte nicht mehr auf ihn verzichten.
Also hatte ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich mache ihn zur neuen Hauptfigur, oder ich mache ihn gleichwertig, hebe ihn also auf eine Ebene mit meinen anderen beiden Protagonisten. Da ich Jutta und Georg ebenfalls sehr mag, habe ich mich für Letzteres entschieden und das Buch mit einer Ensemblestruktur aus drei Hauptfiguren umgeschrieben. Und es funktioniert prima. Es liest sich sogar besser als vorher, zudem habe ich dadurch viel mehr Möglichkeiten, als ich mit nur einer Hauptfigur hätte, was bei einer Serie von Vorteil ist. Und die Leser finden so auch mehr Identifikationsfiguren, was ebenfalls positiv ist. Und neue Nebenfiguren fanden sich schnell, das war kein Problem.
Möglicherweise ist das auch für Sie ein Ausweg aus Ihrem Dilemma. Lassen Sie die beiden Figuren im Duo agieren. Oder tauschen Sie die Figuren: Ihre ehemalige Hauptfigur wird zur Nebenfigur. Die Figur, die Sie lieben, bekommt den Hauptpart. Das funktioniert natürlich nur, wenn es nicht die Hauptfigur einer Serie ist und Sie gerade den vierten Teil schreiben. Das würde Ihre Fans verwirren. Wenn es der erste Roman einer Serie ist oder ein Stand-Alone-Krimi, haben Sie hier noch alle Freiheiten.
Jennifer B. Wind, Bestsellerautorin aus Österreich, sprudelt nur so vor Ideen, was nicht nur ihre Werke, sondern auch ihr Leben spannend macht. Sie arbeitete als Journalistin und als Flugbegleiterin, war Mitglied einer Musicalcompany, stand vor der Kamera und auf der Bühne und ließ sich berufsbegleitend zur Drehbuchautorin ausbilden. Gleich ihr Debüt, der Thriller „Als Gott schlief“, wurde zum Bestseller. Inzwischen kümmert Sie sich auch um Nachwuchsautoren, ist Autorenpatin bei „Tatort-Schreibtisch“ und hat eine Webseite, auf der Sie viel von sich erzählt: www.jennifer-b-wind.com
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